Tagungsbericht: Germanistische Mediävistik
II. Internationaler Workshop der Germanistischen Mediävistik
Mit Nachwuchwissenschaftler_innen der Universitäten Köln, Münster & Princeton (USA)
Am 5. und 6. Juni 2014 fand an der Universität zu Köln der II. Internationale Workshop der Germanistischen Mediävistik statt, zu dem Prof. Dr. MONIKA SCHAUSTEN und Prof. Dr. UDO FRIEDRICH (Köln) eingeladen hatten. Der Workshop basiert auf einer Kooperation zwischen den Universitäten Köln, Münster (Prof. Dr. BRUNO QUAST) und Princeton, USA, (Prof. SARA POOR). Ziel ist es, alle zwei Jahre ein lebendiges Forum für Nachwuchswissenschaftler*innen der drei teilnehmenden Universitäten zu schaffen, die in intensivem Austausch ihre wissenschaftliche Projekte vorstellen und zur Diskussion stellen können.
Eröffnet wurde der diesjährige Workshop mit einem Beitrag von Dr. ULRICH HOFFMANN (Münster), der anhand des anonymen frühneuzeitlichen Prosaromans Fortunatus über die literarischen Inszenierungen von Entscheidungssituationen sprach („Qualen der Wahl. Inszenierungen von Entscheidungssituationen im Fortunatus“). Dabei verknüpfte er anschaulich und produktiv neue Ansätze der Entscheidungstheorie mit den kontingenten Textwelten des frühneuzeitlichen Prosaromans. Anschließend sprach SARAH JANICGAJ, M. A., (Köln) über die Implikationen des Namens für die Konstruktion der heldischen Identität im Wolfdietrich („Der Name des Helden und seine Semantik für die Protagonistenidentität in den Wolfdietrich-Dichtungen"). Sie zeigte nicht nur, wie der ‚Wolf‘ im ‚Wolfdietrich‘ der verschiedenen Fassungen wesentlich zu einer textuellen Hybridisierung der Heldenidentität beiträgt, sondern auch wie sich die Aushandlungen zwischen Name und Person in einen an Transformationsmustern interessierten kulturellen Kontext einordnen lassen.
Den Folgetag eröffnete MICHAEL SCHWARZBACH, M. Ed., (Köln) mit einem Vortrag, der den Anteil von exemplarischen Kurzerzählungen in Geschichtstexten des Mittelalters beleuchtete („Erzählen im historischen Kontext. Über Fabeln in mittelalterlichen Chroniken“). Hier verwies er überzeugend auf die unterschiedlichen Funktionalisierungen einer Fabel im Kontext verschiedener Texte/Textsorten und ließ dabei ihre Veränderungen im Kontext der Chronistik bis in die Spezifika der Narration hinein transparent werden. Die folgenden Beiträge gruppierten sich wesentlich um den höfischen Roman um 1200 und erprobten verschiedene Ansätze zur Historisierung von normativen Systemen, die den Texten zugrunde liegen. JONATHAN MARTIN (Princeton) erörterte die Verhandlungen des germanischen und kirchlichen Eherechts im Eneasroman Heinrichs von Veldeke („Consensus facit nuptias. Marriage Law and Lavinia in Heinrich von Veldeke’s Eneasroman“). Seiner These nach sei – verbunden mit den Konsensvorstellungen des zeitgenössischen, kirchlichen Eherechts – die rechtliche Situation zwischen den Antipoden Turnus und Eneas in ihrer Auseinandersetzung um die römische Braut Lavinia wesentlich anders zu bewerten, als es in der Forschung sonst meist geschehe. Im Anschluss beleuchtete JULIA STIEBRITZ, M.A., (Köln) den Einfluss der lateinischen Hofkritik auf Gottfrieds von Straßburg Tristan („Hofkritik in der deutschen Literatur des Hochmittelalters“). Sie konnte im Lichte des Policraticus des Johannes von Salisbury zeigen, wie die Szenen des Musizierens in Gottfrieds Text eingesetzt werden, um eine spezifische kritische Perspektivierung des Protagonisten zu erzeugen, dessen Kunstfertigkeit nicht bloß ars gratia artis, sondern in einer zweiten Lektüreschicht Signum höfischen Lasters sei.
Den letzten Teil des Workshops eröffnete FABIAN DAVID SCHEIDEL, M.A., (Köln) mit dem Versuch, dem vielinterpretierten Erec Hartmanns von Aue eine veränderte Lesart abzugewinnen („Lilienweiß und rosenrot. Von der Kunst der Keuschheit“). Er stellte die verstärkte narrative Dominanz ins Zentrum seiner Überlegungen, welche die Leiblichkeit und Schönheit des Protagonistenpaars gegenüber dem Prätext Chrétiens in der Bearbeitung durch Hartmann von Aue gewinnt. Dabei schlug er eine Neubewertung der Rolle Enites und der einschlägigen, auf sie bezogenen Marienreferenzen vor, in dem er Vergleichsstellen aus der Marienpreisdichtung beibrachte. Anschließend arbeitete HANNAH HUNTER-PARKER (Princeton) die Rolle der Philologie des 19. Jahrhunderts für die Konstitution der wissenschaftlichen Textausgaben von Hartmanns ‚Armen Heinrich‘ und deren Bedeutung im wissenschaftlichen Betrieb des 20./21. Jahrhunderts heraus. Dabei erwies sich die akribische Beschäftigung Ludwig Tiecks mit den Handschriften letztlich als philologisch besonders überzeugend („Reading the medium aevum: Medieval Manuscripts in the Writings of Ludwig Tieck“). Sie verwies mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer philologischen Re-Evaluation auch des einschlägigen Textkanons im Hinblick auf seine Überlieferungsträger. Den Abschluss bildete Dr. MICHAELA SCHMITZ (Köln), die Wolframs von Eschenbach Parzival mittels kommunikationstheoretischer Ansätze analysierte („Formen der Schrift im Parzival Wolframs von Eschenbach“). Sie setzte dafür die verschiedenen Formen der Textvermittlung in Kontrast zueinander, wie sie bei Wolfram in der Staffelung von Schrifttext und mehrfachem Botenbericht auserzählt werden, und erläuterte das Verhältnis von identischer Nachricht und Adressatenreaktionen im Hinblick auf das sich verändernde Medium.